Er ist – allein weil seine Karriere schon so lange dauert – Galionsfigur einer neuen Generation glamouröser Countertenöre. Und nicht nur das – er inszeniert, forscht, hat eine Agentur. Eben hat er geheiratet, und Hunde ergänzen jetzt auch noch die Familie. Im Februar wird er – jetzt bereits ausverkauft – mit einem seiner besonders glänzenden Kollegen, Franco Fagioli, neuerlich in Karlsruhe im von ihm szenisch betreuten „Xerxes“ bei den Händel-Festspielen auf der Bühne stehen. Und dieses Jahr hat Max Emanuel Cencic mit hinreißenden Arien von Nicola Porpora anlässlich von dessen 250. Todestag noch einmal neue Höhen der Gesangs- wie Interpretationskunst erreicht – so virtuos wie tief emotional. Wer hätte das gedacht? Vor einigen Jahren war Nicola Antonio Porpora ein vergessener Komponist, dessen Name höchstens als berühmter Pädagoge einiger der legendären Kastraten mal kurz aus dem Dunkel der Musikgeschichte emporglimmerte. Antonio Uberti (der sich zu Ehren seines Lehrers Porporino nannte), Farinelli und Caffarelli waren die bekanntesten seiner Schüler, für deren geläufige Gurgeln er vor Verzierungen nur so strotzende Arien komponierte. Und es stimmt, Porpora legte alle seine Fähigkeiten in die Stararien, die anderen Mitwirkenden wurden eher schematisch abgespeist. Aber die Prunkstücke in diesen Opern sind eben nicht nur lang und mit vielen Noten gespickt, sie haben auch eine abwechslungsreiche Vibranz, huldigen der Erotik der Stimme, loten immer neu deren Möglichkeiten und Farben aus. Man braucht freilich Sänger, die sich diesen horrenden Anforderungen gewachsen zeigen, die nicht nur mit Mühe eine Technikparcours absolvieren, sondern diese Hindernisläufe zum Glänzen und Funkeln bringen, ihnen auch vokal kreatives wie emotionales Leben einhauchen. Cecilia Bartoli vermochte das auf ihre „Sacrificium“-CD, und auch Philippe Jaroussky hat seine Farinelli gewidmete CD einzig mit Porpora-Arien bestritten. Franco Fagioli als gegenwärtig technisch perfektester Countertenor hat eine Soloplatte gleich Porpora gewidmet – und nun Emanuel Cencic. Der war zudem noch mit Porporas kompletten „Germanico in Germania“ in den Vorlauf gegangen. Natürlich mit angemessen exzentrischen Covern: einmal mit Husky und Tierfellen als Barbar aus dem deutschen Wald, dann im Brokatfummel hingefläzt auf einen Goldthron. Sieben der insgesamt vierzehn Arien auf dem Album sind Erstveröffentlichungen. Darunter direkt ins Ohr gehende Melodien wie etwa „Ove l’erbetta tenera e molle“ aus „Filandro“. Cencic ist hier ganz bei sich, muss in keiner Phrase vokal prunken, gibt sich zart zurückgenommen, hält einen langen Atem. Virtuos wird er dann wieder in „Lieto sarò di questa vita“ aus „Ezio“. Immer ganz nah dran an der Kunst des Singens: das lustvoll lostänzelnde Ensemble Armonia Atenea unter George Petrou. Eine Cencic-Entdeckung auch er. Bald übernimmt er die Händel-Festspiele in Göttingen. Und wenn Cencic in den Adagio-Arien nach Innerlichkeit und Wärme sucht, Charakteristika, die man so eher Porporas Londoner Konkurrenten Händel zuschreiben würde, so ist er doch am stärksten wenn er mit kaum verhüllt hysterischer Attitüde das Außersichsein dieser Charaktere mit Mitteln der kunstvoll abgeschossenen Töne veranschaulicht. Man delektiert sich an Porporas oft von Blasinstrumenten festlich überhöhten Virtuosität, aber auch an seinen lyrischen Nummern nach graziös-galanten Rokoko-Vorbildern. Es bleibt spannend, was für Porpora-Opern in den nächsten Jahren noch exhumiert werden. Doch für den Augenblick mag man sich à la Porpora am intelligenten Vokalkönnen und der genau ausgezirkelten Affektlehre Max Emanuel Cencics mit seiner CD-Hommage zum 250. Todestag erfreuen.
Nicola Antonio Porpora: Arias. Manx Emanuel Cencic, Armonia Atenea, George Petrou (Decca)
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