Weihnachtsoratorium – das muss natürlich sein. Aber dieses Jahr klingt einmal nicht „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“, diesmal lauten (nach einer freilich festlich doppelten Sinfonia), die ersten, eher prosaischen Rezitativworte: „Von hier aus, dem Reich des Donners und des Blitzes, richten wir unsere ersten, widerwilligen Blicke auf die trotzige, verlassene Welt, und dann wollen wir hinunter gehen.“ Die Götter müssen verrückt sein, oder jedenfalls die allegorischen Gestalten Giustizia, Pace und Verità, die hier auf die Erde hinabsteigen. So hat es der vor 250 Jahre gestorbene, lange in der dritten Komponistenreihe weggesperrte Nicola Antonio Porpora (1686-1768) in seiner oratorienhaften Weihnachtskantate (so wie im Grunde auch Bach) „Il verbo in carne“ – „Das Fleisch gewordene Wort“ verfertigt. Und zwar nicht in Dresden, wo der Bach-Zeitgenosse, der hautsächlich als Vokalpädagoge berühmter Kastraten namhaft wurde, kurze Zeit wirkte und wie lange angenommen wurde. Sondern schon 1747 in Neapel. Aus dieser etwa zweistündigen Urfassung sind jetzt Höhepunkte veröffentlicht worden, die man bei einem Hamburger Konzert mitgeschnitten hat. Es musizieren mit Eleganz und manchmal ruppiger Eloquenz das Kammerorchester Basel unter seinem von der Violine aus leitenden Chef Ricardo Minasi. Vokal beglückend lassen sich Spezialisten des italienischen Hochbarock vernehmen, Roberta Invernizzi (Gerechtigkeit), Countertenor Terry Wey (Friede) und Martin Vanberg (Wahrheit). Sie erweisen dem reizvollen Werk, welches das Geschehen von Bethlehem aus respektvoller, doch lautmalerischer Distanz beschreibt, vollkommen ihre Reverenz, so sanglich wie virtuos. Das Werk hat Schwung und Sinnlichkeit, wirkt ausgelassen opernhaft und reflektiert doch stets den religiösen Inhalt. Zum Teil sehr plastisch, wenn da mit Hörnern und Blockflöten pastorale Dudelsack-Klänge imitiert werden oder man das weinende Jesulein beschreibt. Doch die Geburt des Messias wird bereits in einen größeren Sinnzusammenhang gestellt, die Allegorien Gerechtigkeit und Friede lassen sich zudem über Perspektiven und Schicksal der Menschheit aus, denn erst die Gestalt gewordene Wahrheit bringt die frohe Kunde vom christlichen Hoffnungsträger als Licht der Welt. Hier wird also nicht nur naiv nacherzählt, sondern gelehrt reflektiert – und doch spricht die Musik unmittelbar an, schmeicheln und verzaubern die Melodien. Der Geist der italienischen Oper macht eben auch vor der Religion nicht halt. In diesem Land ist alles Theater, und sei es ein geistliches, das doch nur maskiertes Drama ist. Aber schön!
In diesem Sinne allen treuen Lesern dieses Blogs: Fröhliche Weihnachten!
Nicolà Antonio Porpora: Christmas Oratorio (Il verbo in carne). Roberta Invernizzi, Terry Wey, Martin Vanberg, Marc-Olivier Oetterli, Kammerorchester Basel, Riccardo Minasi (Sony)
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