Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

In Radebeul leuchtet nostalgisch das Musical-„Licht auf der Piazza“

$
0
0

Trotz fußlahmer Second-Hand-Shows mit gebrauchter Musik der Beach Boys oder von John Lennon gab es 2005 Hoffnung am Ende des New Yorker Musical-Tunnels. Off-Broadway, aber edel, im großen Vivian Beaumont Theatre des Lincoln Centers, rechts von der Metropolitan Opera, da hatte Richard Rodgers‘ Enkelsohn Adam Guettel mit  „The Light in the Piazza“ neuerlich ein Licht auf dem Theaterplatz entzündet. Eigentlich eine reichlich sentimentale Geschichte, die von einer dominanten Amerikanerin erzählt, die auf Ferienreise im Florenz der Fünfziger der Liebe wegen ihre aufgrund eines Unfalls emotional etwas zurückgebliebene Tochter an den Sohn eines italienischen Krawattenfabrikanten verliert. Der Stoff geht auf eine Novelle und einen Hollywood-Film zurück. 1962 spielten in einer ausführlich an den italienischen Originalschauplätzen Florenz und Rom schwelgenden Produktion von MGM-Musical-Mogul Arthur Freed Olivia de Havilland, George Hamilton und Rossano Brazzi.

Fotos: Sebastian Hoppe

Daraus wurde ein transparent instrumentiertes, arpeggienverliebtes Kammermusical für zehn Darsteller und 15 Musiker, intim und anrührend. Guettel, der Rock und Gregorianik liebt, schreibt deutlich an Stephen Sondheim geschulte, chromatisch sich reibende Songs mit Debussy-Touch. Und flirtet in seinem fast durchkomponierten Parlando-Stil heftig mit der Oper. Fast die ganze, ruhig entwickelte Story ist musikalisiert, gipfelnd in einem heiter-melancholischen Oktett. Vor dahingleitenden, ockerfarbenen Palazzo-Fassaden wurden in New York Emotionen ziemlich wahrhaftig ausgestellt. Neben der feinen Kelli O’Hara als Clara spielte vor allem die wunderbare Victoria Clark  die Mutter-Glucke mit ihren Enttäuschungen, Ängsten und Schuldgefühlen ihrem behinderten Kind gegenüber an jedem Klischee vorbei als Antityp zu Ethel Mermans Mamma-Wuchtbrummen.

„The Light in the Piazza“ wurde für 11 von 13 möglichen Tonys nominiert. Es bekam aber nur die Auszeichnungen für die beste Partitur und Orchestrierung, Nonesuch veröffentlichte ein Original Cast Album. Seitdem hat dieses stille, für den Broadway eigentlich zu ehrliche Stück eine bescheidene Karriere gemacht. Und bevor es 2019 in London mit Renee Fleming als Margaret Johnson herauskommt, wurde jetzt die Deutsche Erstaufführung an die Landebühnen Sachsen nach Radebeul vergeben, wo sich der Operndirektor Sebastian Ritschel seit längerem um unkonventionellere Musicals bemüht. Stephen Sondheims „Company“ ist dem vorausgegangen, zu dessen 90. Geburtstag plant er sogar einen Doppelpremierenschlag mit der Staatsoperette.

Und dieses heiter-melancholische, seine Nostalgie am Licht des Südens wärmende Stück passt perfekt in die sonst bisweilen beengte Atmosphäre des ehemaligen Festsaals der „Goldnen Weintraube“, wo die Landesbühnen als DDR-Nachkriegsgründung ihr mehrfach renoviertes Stammdomizil haben. Das Libretto von Craig Lucas wurde von dem bewährten Roman Hinze geschickt übersetzt.

Ritschel als sein eigener Ausstatter und Beleuchter verkleinert und öffnet die schnell wechselnden Schauplätze geschickt, indem er sie im kassettierten Rahmen eines Museumsaals spielen lässt, in dem sich zu Anfang Clara zurückerinnert. In einem großen goldenen Bilderrahmen scheinen übermalte, oft sepiagetönte Fotos der italienischen Panoramen auf, wenige Möbel und Versatzstücke deuten Zimmer und Plätze an. Doch das museale Ambiente wird schnell lebendig, aus Schatten werden singende Menschen in schönen Fifties-Kostümen, deren Emotionen und Zweifeln man gern folgt.

Das ist als lebhafte Rückblende mit bewusst künstlich-kindlicher Ästhetik so beweglich wie glaubwürdig inszeniert, mit drei sehr guten Gästen in den Hauptrollen. Anna Preckler spielt die Clara als blonde Blendax-Unschuld im Petticoat, aus deren Perspektive man hier rückwärts zoomt. Sarah Schütz lässt ihre Mutter glaubhaft zwischen Hoffnung und Schwanken zur Zentralfigur werden, Gero Wendhoff ist ein angemessen unschuldiger, heftig verliebter Klischee-Italien mit angenehmem baritonalen Tenor. Auf den Punkt besetzt die elegant, temperamentvolle Italo-Restfamilie. Aus dem nun schwarzen Rahmen blafft am Telefon der USA zurückgelassene, lieblose Ehemann. Die von Harfe und Klavier dominierte Musik Guettels ist bei Hans-Peter Preu am Pult der Elbland Philharmonie in rhythmisch bewegten Händen. Und am Ende gibt die Mutter die Tochter weg, lässt los, sie darf raus aus dem Kokon, während sie selbst sich mit ihrer wenig glücklichen Ehe auseinandersetzen muss. Ja, in Radebeul scheint das Licht sehr stimmungsvoll auf die Piazza. Eine schöne Ausnahme in der immer noch viel zu braven, auf die bewährten auswärtigen Erfolge und die ewigen Klassiker setzende deutschen Musicallandschaft.

 

 

Der Beitrag In Radebeul leuchtet nostalgisch das Musical-„Licht auf der Piazza“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826